„Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr.“
(Marie Curie)
Angst ist eine Meisterin der Täuschung, die oftmals in ganz unterschiedlichen Gestalten auftritt und dadurch bei Betroffenen oft große Verunsicherung auslöst. Die für den Laien oft unerklärlichen Symptome, die sich am offensichtlichsten auf körperlicher Ebene äußern, führen Betroffene häufig von einer ärztlichen Untersuchung zur nächsten. Wenn trotz umfassender Begutachtung der Beschwerden schlussendlich keine körperliche Ursache festgestellt werden kann, wächst die Verunsicherung noch weiter. Gedanken wie „Was stimmt nicht mit mir?“, „Ob vielleicht doch etwas übersehen wurde, das meine Symptome erklärt?“ bis hin zu „Bilde ich mir das alles nur ein und werde langsam verrückt?“ sind dann keine Seltenheit. So haben Betroffene oftmals einen langen und ergebnislosen Leidensweg hinter sich, bevor psychologische oder therapeutische Hilfe in Erwägung gezogen wird. Zu groß ist einerseits die Scham aufgrund der Befürchtung, nun für „verrückt“ zu gelten und zu ausgeprägt andererseits die körperliche Symptomatik, als dass sie für ein rein psychisches Problem gelten könnte. Oder etwa doch…?
Für viele Betroffene ist es zunächst eine Erleichterung zu hören, dass sich all ihre Symptome und Beschwerden auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen lassen: Angst. Und mit dieser sind sie bei Weitem nicht alleine. Angststörungen zählen weltweit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen (von der Häufigkeit subklinischer Ängste ganz zu schweigen) – und dennoch sprechen aus Scham die wenigsten offen darüber. Dies vermittelt anderen Betroffenen dann wiederum den falschen Eindruck, mit ihrer Problematik ganz alleine dazustehen.
Aus diesem Grund möchte ich mich in diesem Blog-Artikel den vielen Gesichtern der Angst widmen und Ihnen durch faktenbasiertes Wissen die „Angst vor der Angst“ zu nehmen. Die Aufklärung über das Wesen der Angst ist nämlich bereits ein zentraler Schritt im Durchbrechen des Teufelskreises, in den Betroffene typischerweise geraten. Sobald wir die Eigenarten der Angst verstehen und diese nüchtern und objektiv als das betrachten, was sie ist – eine gewöhnliche und harmlose Emotion – verliert sie letztlich ihre Macht über uns.
Die vier Ebenen der Angst:
Eine ganzheitliche Betrachtung psychischen Erlebens und Verhaltens schließt immer vier Ebenen ein, die eng miteinander verknüpft sind und sich permanent gegenseitig beeinflussen nämlich:
Gefühle
Gedanken
Verhaltensweisen und
körperliche Empfindungen
Folgende Abbildung veranschaulicht das komplexe Zusammenwirken dieser vier Aspekte:
Doch wie genau äußert sich Angst auf jeder dieser Ebenen? Wir beginnen bei den offensichtlichsten bzw. spürbarsten Auswirkungen von Angst, nämlich auf der körperlichen Ebene.
1. Ebene - Körperliches Erleben:
Angst führt typischerweise zu einer erhöhten Alarmbereitschaft und einer starken Aktivierung unseres gesamten Körpers, der so genannten Kampf-oder-Flucht-Reaktion (s. Blogartikel: „Was Angst mit dem Körper macht“). Dies äußerst sich durch ausgeprägte körperliche Symptome, deren Fehlinterpretation als ernstzunehmende Anzeichen drohender Gefahr die Angst (und in der Folge wiederum die Beschwerden) noch weiter verstärken. Das Ausmaß dieser Reaktion reicht von unterschwelligen, aber andauernden Symptomen bis hin zu plötzlich auftretenden Phasen intensiver Panik, die nach kurzer Zeit wieder abklingen.
Die typischen Symptome umfassen:
Herzklopfen
Zittern
Schwitzen
Hitzegefühl oder Kälteschauer
Engegefühl in der Brust
Magen-Darm-Beschwerden (Übelkeit, Durchfall, starker Harndrang)
Kloßgefühl im Hals
Benommenheit und Schwindel
Beschleunigte Atmung/Hyperventilation
Taubheits- und Kribbelgefühle („Ameisenlaufen“)
Kopfschmerzen
Schlaflosigkeit
Libidoverlust
Hat Ihnen Ihr Arzt nach sorgfältiger körperlicher Untersuchung versichert, dass keine organische Ursache für diese Beschwerden vorliegt, kann davon ausgegangen werden, dass Angst deren gemeinsame Ursache darstellt. Die gute Nachricht: Es handelt sich hierbei um einen gewöhnlichen (und grundsätzlich äußerst nützlichen) Mechanismus unseres Körpers. Angst und ihre Begleiterscheinungen sind zwar äußerst unangenehm, aber zugleich vollkommen ungefährlich (auch wenn Ihr Gefühl versucht, Ihnen das Gegenteil weiszumachen…).
2. Ebene - Gefühle:
Auf der Gefühlsebene dominiert natürlich die Emotion Angst selbst. Diese zieht in der Regel jedoch noch weitere Emotionen nach sich oder sie äußert sich verdeckt in Form anderer Gefühlsregungen, z.B.:
Gereiztheit, Ärger oder Wut
Nervosität, innere Unruhe
Gefühl von Dünnhäutigkeit und Verletzlichkeit
Überforderungsgefühl, Neigung zu weinen
Traurigkeit, Verzweiflung
Hoffnungslosigkeit, Pessimismus
Gefühl von Unwirklichkeit oder Entfremdung („Derealisation“)
Bei genauem „Hinspüren“ lässt sich auch hier oftmals Angst als kleinster gemeinsamer Nenner ausmachen – maskiert als eines oder mehrere der oben genannten Gefühle.
3. Ebene - Gedanken:
Alles, was sich bei Angst „im Kopf“ abspielt, also Vorstellungen, Befürchtungen, Fantasien, Bewertungen, Sorgen, Einstellungen und Annahmen, gehört zur gedanklichen Ebene. Betroffene beschäftigen sich gedanklich oftmals intensiv mit ängstigenden Situationen und den befürchteten Folgen. Durch die gedankliche Vorwegnahme gefürchteter Situationen („was wäre, wenn…?“) entsteht typischerweise eine Erwartungsangst („Angst vor der Angst“), welche dann wiederum als Beweis für die Gefährlichkeit einer Situation fehlinterpretiert wird. Typisch sind außerdem katastrophisierende Gedanken über die körperlichen Symptome der Angst (z.B. „was, wenn mein Herzklopfen doch ein Anzeichen für einen drohenden Herzinfarkt ist?“), welche ihr Ausmaß noch weiter verstärken.
Weitere Beispiele für angsttypische Gedanken sind:
Es wird etwas Schlimmes geschehen!
Ich kann nicht mehr!
Ich muss schnell raus hier!
Was stimmt nicht mit mir?
Wird das jemals aufhören?
Ich werde verrückt!
…
Es ist wichtig, sich zunächst klar zu machen, dass es sich bei diesen Gedanken nicht unbedingt um Tatsachen handelt, sondern auch hier die trügerische Stimme der Angst aus Ihnen spricht. Derartige Gedanken sind nichts Ungewöhnliches und stellen für sich genommen noch kein Problem dar. Erst wenn sie unser Verhalten beeinflussen (s. Ebene 4), weil wir an ihre Gültigkeit glauben, werden sie zum Problem. Versuchen Sie daher, derartige Gedanken achtsam als solche zu erkennen ohne in irgendeiner Weise auf sie zu reagieren oder sie zu bewerten. Jedes Bestreben, Gedanken loszuwerden (z.B. durch unterdrücken, verdrängen oder ablenken) macht diese nur noch schlimmer. Bildhaft ausgedrückt: Schauen Sie dem Feuer ihrer Gedanken aus sicherer Distanz beim Abbrennen zu, anstatt Öl ins Feuer zu gießen.
4. Ebene - Verhalten:
Angst führt auf der Verhaltensebene typischerweise zu einer Vermeidungshaltung, die zwar kurzfristig Erleichterung verschafft, aber langfristig die Problematik verschlimmert. Typische Formen von Vermeidung (die ich bereits in anderen Blog-Artikeln ausführlich beschrieben habe) umfassen:
Eine teilweise oder vollständige Vermeidung angstbesetzter Situationen (s. Blogartikel: „Vermeidung: Der sichere Weg (zu anhaltender Angst)“)
Ein Flüchten aus gefürchteten Situationen
Die Anwendung so genannter Sicherheitsverhaltensweisen (s. Blogartikel: „Sicherheitsverhalten: Der Wolf im Schafspelz“)
Weitere verhaltensbezogene Symptome, die mit Angst einhergehen, beinhalten:
Passivität, Antriebslosigkeit, Interessen- und Teilnahmslosigkeit
Ablenkungsversuche
Übermäßiges Grübeln (führt häufig zu Konzentrationsstörungen)
Aufschiebeverhalten („Prokrastination“)
Übertriebenes Kontrollieren von Dingen
Anspannung der Muskulatur (Zähneknirschen, verspannte Schultern)
Nervöses Umherlaufen
Machen Sie sich auch an dieser Stelle klar, dass sich all diese Verhaltensweisen erneut unter dem Deckmantel der Angst zusammenfassen lassen. Wenn Sie immer nur das tun, was die Angst von Ihnen fordert, wird sich ihr Lebensradius zunehmend verkleinern, da die Angst immer mehr Macht über Sie gewinnt. Hören Sie also nicht auf die irrationale Stimme der Angst, sondern bieten Sie ihr mutig die Stirn, indem Sie weiterhin Ihre persönlichen Ziele verfolgen – auch mit und trotz Angst!
Zusammenfassung:
Das Erleben von Angst äußert sich in ganz unterschiedlichen Formen auf vier unterschiedlichen Ebenen, die sich gegenseitig beeinflussen und verstärken. Diese Wechselwirkung bedeutet jedoch auch, dass jede positive Einflussnahme auf eine der vier Ebenen auch günstige Auswirkungen auf alle anderen Ebenen hat. Zudem lässt sich festhalten, dass sich Betroffene nicht mit der Behandlung Dutzender unterschiedlicher Symptome befassen müssen, sondern der Fokus gezielt auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gerichtet werden kann: Die Angst selbst.
Falls Sie sich bei der Überwindung von Ängsten individuelle und professionelle Unterstützung wünschen, dann kontaktieren Sie mich gerne zur Vereinbarung eines kostenlosen, unverbindlichen Kennenlerngespräches. Ich freue mich über Ihre Kontaktaufnahme!
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