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Vermeidung – der „sichere“ Weg (…zu anhaltender Angst)

Autorenbild: Felix Michael KolbFelix Michael Kolb

„Weiche dem Unheil nicht, noch mutiger geh ihm entgegen"


(Vergil)


Frau mit Buch vorm Gesicht

Was haben die folgenden Personen gemeinsam?

  • Die Agenturmitarbeiterin, die vor ihrer Vorgesetzen und ihren Kolleginnen die Quartalsergebnisse präsentieren soll, aber aus Angst vor einem „Blackout vor versammelter Mannschaft“ vorgibt, krank zu sein und an diesem Tag zu Hause bleibt.

  • Der Student, der im Hörsaal verlegen auf seine Vorlesungsunterlagen vor sich blickt, anstatt die hübsche Kommilitonin neben sich anzusprechen, die ihm schon seit Wochen nicht mehr aus dem Kopf geht.

  • Die Bürokauffrau, die tagtäglich mit Schweißperlen auf der Stirn die vielen Treppenstufen zu ihrem Büro im 12. Stock hochhetzt, um bloß nicht den gefürchteten Aufzug nehmen zu müssen.

  • Der Schriftsteller, der Tage und Wochen damit verbringt, mehr und mehr Informationen für sein neues Buch zu recherchieren, anstatt sich an den Schreibtisch zu setzen und endlich die ersten Worte zu Papier zu bringen.

  • Die völlig überforderte, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die auf die Frage ihrer Bekannten („Wie geht’s dir“) den Kloß in ihrem Hals herunterschluckt und stets mit einem erzwungenen Lächeln antwortet: „Alles bestens!“

  • Der Familienvater, der den wiederholten Wunsch seiner Ehefrau nach mehr partnerschaftlicher Kommunikation ignoriert, anstatt die offensichtlichen Eheprobleme anzusprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Die offensichtliche Antwort lautet: Alle der hier dargestellten Personen vermeiden. Und zwar solche Situationen, in denen negative Folgen befürchtet werden, z.B. persönliches Versagen, Bloßstellung oder unangenehme Empfindungen und Gefühle. All das führt zu Angst und trägt zum beschriebenen Vermeidungsverhalten bei. Doch ist das wirklich hilfreich? Und wenn ja, zu welchem Preis? In Bezug auf die dargestellten Fälle scheint die Antwort auf der Hand zu liegen: Das beschriebene Vermeidungsverhalten hat in allen Fällen negative Konsequenzen, z.B. den Verlust von Selbstvertrauen, wenige oder problembehaftete zwischenmenschliche Beziehungen, eingeschränkte Bewegungsfreiheit, Stress oder Selbstvorwürfe.


Warum Menschen vermeiden:

Vermeidung führt also dazu, dass persönliche Werte, Wünsche und Ziele der Angst regelrecht „geopfert“ werden. Doch warum halten dann so viele Menschen an ihrem Vermeidungsverhalten fest, obwohl dieses ganz offensichtlich negative Folgen nach sich zieht? Warum neigen wir alle – mal mehr und mal weniger – zu Vermeidungsstrategien wie den folgenden?

  • Diesen einen wichtigen Telefonanruf Tag um Tag nach hinten zu verschieben

  • „Nur noch eine Folge“ unserer Lieblingsserie zu schauen, anstatt die Arbeit für ein anstehendes Projekt zu Ende zu bringen

  • Unangenehme Gedanken oder Gefühle „einfach zu verdrängen“ oder sich von ihnen abzulenken (sei es durch übermäßiges Essen, Alkohol, Medikamente, exzessiven Sport o.Ä.)

  • Immer die Kontrolle bewahren zu wollen oder uns bei anderen Menschen rückzuversichern, damit auch bloß nichts schiefgeht

Die Liste möglicher Vermeidungsstrategien ließe sich noch beliebig fortführen. Der Grund dafür ist, dass viele von ihnen hervorragend funktionieren! Ja, Sie haben richtig gelesen. Vermeidung führt dazu, dass unerwünschte Gefühle von Angst, Anspannung oder Unbehagen nachlassen, da das befürchtete Ereignis durch die Vermeidung (noch) nicht eintritt.


Doch jetzt kommt das große ABER: Vermeidung funktioniert immer nur kurzfristig! Auf lange Sicht hingegen führt sie typischerweise zu einer stetigen Zunahme der Einschränkungen (siehe oben) und damit zu einem Verlust von Lebensqualität und persönlichem Wohlbefinden.


Das liegt daran, dass sich mit jeder neuen Erfahrung nachlassender Angst infolge der Vermeidung die (falsche) Überzeugung festigt, dass Vermeidung hilft, die Angst in den Griff zu bekommen. Dadurch wird sie also fälschlicherweise als angemessene Strategie im Umgang mit derartigen Situationen „abgespeichert“ und tritt somit immer häufiger auf. Durch das zunehmend eingeschränkte Handeln nimmt jedoch auch die Chance auf bereichernde Erlebnisse immer weiter ab. Zudem verhindert Vermeidung die Erfahrung, dass die befürchteten Folgen womöglich gar nicht eintreten oder dass die Situation auch trotz Angst gut verlaufen kann. Stattdessen festigt sich der negative Glaube: „Das wäre bestimmt total furchtbar geworden, wenn ich der Situation nicht aus dem Weg gegangen wäre“. Ein Teufelskreis aus Angst, Vermeidung, kurzfristiger Erleichterung und erneut auftretender Angst entsteht. Was ursprünglich anfing mit „ich vermeide, weil ich Angst habe“ wird schließlich zu „ich habe Angst, weil ich vermeide“.


Was Sie dagegen tun können:

Was also tun, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen? Als ersten Schritt gilt es, anzuerkennen, dass Vermeidung nicht die Lösung ist, sondern das eigentliche Problem, welches die Angst aufrechterhält. Daraus ergibt sich, dass ein konstruktiver Umgang mit Angst entgegengesetztes Handeln erfordert. Konkret bedeutet dies also ein aktives Aufsuchen und eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit der angstauslösenden Situation. Anders formuliert: Kurzfristige negative Konsequenzen (in Form von Angst, Unbehagen etc.) müssen zunächst in Kauf genommen werden – zugunsten eines erwünschten langfristigen Ziels (z.B. mehr Handlungsfreiheit).


Hierzu ist es wichtig, die eigenen (bzw. die von anderen Menschen übernommenen) hinderlichen Überzeugungen zu erkennen und loszulassen, z.B. „ich muss mich immer gut fühlen und jederzeit gelassen und locker sein“ oder „ich darf keine Angst haben, wenn ich schwierige Situationen erfolgreich bewältigen will“. Hilfreicher dagegen ist eine akzeptierende und zugleich aktive Einstellung, wie z.B. „Ich kämpfe nicht gegen das Gefühl der Angst, sondern für ein selbstbestimmtes und bedeutsames Leben“.


Dieser entscheidende Schritt auf die Angst zu, anstatt von ihr weg, erfordert zunächst viel Mut (womit wir wieder beim Zitat vom Anfang dieses Artikels wären), der aber letztlich reichlich belohnt wird: Sei es durch den Stolz, „über den eigenen Schatten gesprungen“ zu sein, durch das Wiedererlangen von Selbstvertrauen oder durch die zurückeroberte Freiheit, ein aktives und erfüllendes Leben zu führen.


Als abschließenden Denkanstoß möchte ich Sie bitten, sich folgende Fragen zu stellen (und dabei möglichst ehrlich zu sich selbst zu sein):

  • Welche Situationen oder Umstände vermeide ich, um dem Gefühl von Angst und Unbehagen kurzfristig zu entgehen?

  • Welchen Preis zahle ich dafür?

  • Wie sähe mein Leben ohne die Einschränkungen aus, die mit dieser Vermeidungshaltung einhergehen?

Wenn Sie sich professionelle Unterstützung beim schrittweisen Abbau von Vermeidungsverhalten sowie der aktiven Auseinandersetzung mit angstauslösenden Lebensumständen wünschen, dann kontaktieren Sie mich gerne. Ich freue mich über Ihre Kontaktaufnahme!

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