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Achtsamkeit: Fluch oder Segen?

„Achtsamkeit strebt nichts an. Sie sieht einfach, was bereits da ist“


Henepola Gunaratana (buddhistischer Mönch)


3 weiße Buddhastatuen aus Stein auf Sockel

Der Begriff Achtsamkeit ist heutzutage in aller Munde und wird häufig mit Themen wie Stressbewältigung und Entspannung in Verbindung gebracht. Auch bei der Bewältigung von Ängsten spielt Achtsamkeit eine nicht unwesentliche Rolle. In diesem Blogartikel möchte ich der Frage nachgehen, ob dieser „Hype“ gerechtfertigt ist und welche Fallstricke bei der Umsetzung lauern. Denn trotz der weitläufigen Bekanntheit des Achtsamkeitsbegriffs kursieren noch immer einige Missverständnisse darüber, die – gerade im Bereich Angstbewältigung – auch negative Folgen nach sich ziehen können.


Achtsamkeit vs. „Autopilot“

Das aus der buddhistischen Lehre stammende Prinzip der Achtsamkeit beschreibt die gezielte Aufmerksamkeitslenkung auf den gegenwärtigen Augenblick und zwar ohne diesen in irgendeiner Weise zu bewerten. Achtsamkeit bedeutet also, die äußeren und inneren Sinneseindrücke im „Hier und Jetzt“ bewusst wahrzunehmen – und zwar aus einer neutralen und gelassenen Beobachterposition heraus.


In unserem Alltag ist jedoch häufig das genaue Gegenteil der Fall. Wir werden von unzähligen Reizen überflutet, die unseren Fokus immer wieder auf Neue beanspruchen und uns vom jetzigen Moment ablenken. Hinzu kommt die Tendenz unseres menschlichen Geistes, immer wieder in automatische Prozesse zu verfallen („Autopilot“), anstatt mit voller Aufmerksamkeit bei der Sache zu sein.


Dieser permanente Gedankenfluss äußert sich zum Beispiel in Grübeleien über Vergangenes oder in Sorgen über die Zukunft. Oder aber wir sind gedanklich so auf zukünftige Ziele und Wünsche fixiert, dass wir dabei den jetzigen Augenblick völlig außer Acht lassen. Mit dem Ergebnis, dass wir uns oftmals gestresst und unzufrieden fühlen und das „reale“ Leben gewissermaßen an uns vorbeizieht.


Machen Sie doch einmal den Test: Waren Sie heute Morgen bei Ihren üblichen Alltagstätigkeiten (z.B. beim Duschen, Frühstücken, Zähneputzen, Autofahren etc.) voll und ganz bei der jeweiligen Sache oder doch eher im „Autopiloten-Modus“? Genau an dieser Stelle hilft die Achtsamkeit, sich immer wieder behutsam und geduldig ins Hier und Jetzt zurückzuholen.


Warum Achtsamkeit?

Es existiert immer nur jetzige Augenblick:

Achtsamkeit ermöglicht es, sich das dauernde „Geschwätz“ unseres Verstandes bewusst zu machen, um den Fokus dann wieder auf das zu richten, was wichtig ist: die unmittelbare Wahrnehmung der „echten“ Welt. Sowohl Vergangenheit als auch Zukunft sind letztendlich nur eine „Illusion“ unseres Verstandes, da beide immer nur als der gegenwärtige Moment erlebt werden. Unser Leben besteht quasi aus einer Aneinanderreihung von „Jetzt-Momenten“.


Mehr Wertschätzung und Genuss:

Durch aufmerksames Wahrnehmen des gegenwärtigen Augenblicks wird uns die Vielfalt und Reichhaltigkeit der Gegenwart erst so richtig bewusst. Denn eine achtsame und neugierige Grundhaltung führt meist zu einer größeren Wertschätzung der unscheinbareren Dinge des Lebens. Auch unsere Genussfähigkeit kann von der Achtsamkeit profitieren, zum Beispiel beim Essen. So kann z.B. ein achtsamer Bissen deutlich mehr Genuss bescheren, als das beiläufige „Verschlingen“ einer großen Portion (gutes Beispiel: Schokolade 😉).


Achtsamkeit entschleunigt:

Achtsamkeit entspricht dem Drücken eines „Pause-Knopfs“ in der Hektik unseres Alltags. Immer dann, wenn wir von vielen inneren und äußeren Reizen gedanklich vereinnahmt werden, kann ein achtsames Innehalten unserem Kopf eine kurze Erholungspause verschaffen.


Der Hauptfehler beim Einsatz von Achtsamkeitstechniken:

Der häufigste Fehler, den ich im Rahmen meiner psychologischen Beratungen bei meinen Klient/innen erlebe, besteht in dem Anspruch, mit Achtsamkeitstechniken etwas Bestimmtes zu erreichen (z.B. Angstfreiheit, Entspannung, Freiheit von Gedanken). Achtsamkeit ist jedoch immer ergebnisoffen, strebt also kein Ziel an, welches erreicht werden muss.


Achtsamkeit wird leider oftmals falsch verstanden als Hilfsmittel zur schnellen Angstbewältigung. Ein Beispiel wäre folgender Gedanke: „Sobald meine Angst oder Panik aufkommt, muss ich mich achtsam auf alle Geräusche um mich herum konzentrieren, um mich von der Angst abzulenken“. Dabei handelt es sich jedoch um eine ungünstige Vermeidungsstrategie, die langfristig den gegenteiligen Effekt hat.


Achtsamkeit sollte also keinesfalls als Technik verstanden werden, um unerwünschte Gedanken oder Gefühle loszuwerden oder sich von diesen abzulenken. Im Gegenteil: Achtsam zu sein bedeutet, alles bewusst wahrzunehmen, was sich im Hier und Jetzt abspielt, also auch unangenehme Gedanken, Gefühle und Empfindungen.


Der richtige Einsatz von Achtsamkeit zur Angstbewältigung:

Angst kann erst dann erfolgreich überwunden werden, wenn man sich ihr stellt. Ein achtsamer Umgang mit Angst bedeutet also, diese mitsamt ihren Auswirkungen bewusst wahrzunehmen. Stellen Sie sich beim Auftreten der Angst folgende Fragen:

  • An welchen Stellen im Körper zeigt sich die Angst?

  • Welche Empfindungen treten auf?

  • Welche Gedanken löst die Angst aus?

  • Welche Gefühle sind noch da außer der Angst?

  • Verändert sich die Angst und ihre Begleiterscheinungen? Wird sie stärker oder schwächer?

Versuchen Sie, die Angst in all ihren Facetten zu beobachten und zu beschreiben, ohne diese zu bewerten oder verändern zu wollen. Die sachliche Beschreibung Ihrer Wahrnehmungen führt bereits zu einem größeren Abstand zum Geschehen. Sie werden quasi zum Beobachter der Angst anstatt zum Teilnehmenden, der von ihr gesteuert wird. Ein achtsamer Umgang mit Angst trägt somit dazu bei, von vorschnellen Urteilen (z.B. „Angst ist gefährlich“) und impulsiven Handlungen („ich muss schnell etwas tun, um die Angst loszuwerden“) abzulassen. Genau diese beobachtende und nicht reagierende Haltung wird der Angst schließlich die Macht über Sie entziehen.


Die 5 häufigsten Missverständnisse über Achtsamkeit


Mythos Nr. 1: Achtsamkeit ist eine Technik zur Problemlösung

Achtsamkeit ist kein magischer Trick oder Allheilmittel mit dem Ziel, konkrete Probleme zu lösen. Vielmehr versteht sich Achtsamkeit als allgemeine Grundhaltung oder Lebensprinzip zum bewussteren Erleben des jetzigen Augenblicks. Achtsamkeit dient nie einem bestimmten Zweck, sondern ist immer ergebnisoffen.


Mythos Nr. 2: Man sollte permanent achtsam sein

Permanent im Hier und Jetzt zu leben ist zwar ein wünschenswertes, aber zugleich auch vollkommen unrealistisches Ziel. Sie sind schließlich kein buddhistischer Mönch, der sich tagtäglich in stundenlange Meditation begibt und den Verstand einfach „ausknipsen“ kann. Versuchen Sie aber dennoch, im Verlaufe Ihres Tages immer mal wieder kurz innezuhalten und sich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren, um Ihre Fähigkeit zur achtsamen Wahrnehmung zu trainieren.


Mythos Nr. 3: Achtsamkeit ist die Freiheit von Gedanken

Häufig wird Achtsamkeit fälschlicherweise mit der Abwesenheit von Gedanken gleichgesetzt. Jedoch ist es vollkommen normal, dass unser Verstand ständig aktiv ist und wir daher immer wieder gedanklich abschweifen. Achtsam zu sein bedeutet vielmehr, dieses Abschweifen der Gedanken frühzeitig zu erkennen und sich dann behutsam wieder ins Hier und Jetzt zurückzuholen – wiederum ohne zu bewerten.


Mythos Nr. 4: Achtsamkeit ist an bestimmte Bedingungen geknüpft

Falsch! Das Praktizieren von Achtsamkeit ist immer und jederzeit möglich – auch ganz ohne Klangschalen, Räucherstäbchen und Meditationskissen… 😉


Mythos Nr. 5: Achtsamkeit = Akzeptieren aller Umstände

Jein! Achtsamkeit und Akzeptanz gehen zwar miteinander einher, jedoch nicht im Sinne eines passiven Hinnehmens oder einer Resignation vor schwierigen Umständen. Die Akzeptanz bezieht sich lediglich auf die Ereignisse im jetzigen Moment (einfach, weil die jetzigen Umstände schon so sind, wie sie sind). Dies schließt jedoch eine aktive Einflussnahme auf ungünstige Umstände keinesfalls aus.


Fazit und Empfehlungen:

Die Antwort auf die Titelfrage „Achtsamkeit: Fluch oder Segen?“ lautet also: „Sowohl als auch“. Falsch angewandt als Vermeidungsstrategie zur Angstbewältigung oder als Trick zur Problemlösung wird die Achtsamkeit schnell zum Fluch. Mit dem richtigen Grundverständnis und der richtigen Anwendung kann Achtsamkeit aber auch eine enorme Bereicherung sein.


Videoempfehlung: „Andy Puddicombe: 10 bewusste Minuten genügen schon“: https://www.youtube.com/watch?v=qzR62JJCMBQ


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Für professionelle Unterstützung bei der Überwindung Ihrer Ängste stehe ich Ihnen im Rahmen meines Beratungsangebotes gerne zur Verfügung. Setzen Sie sich gerne zur Vereinbarung eines unverbindlichen Kennenlerngespräches mit mir in Verbindung. Ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme!

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