„Wer auf sein Elend tritt, steht höher“
Friedrich Hölderlin
In meinem letzten Blogartikel zur „Macht des Reframing“ habe ich beschrieben, wie sich die Technik des Reframing (= wörtl. „Neurahmung“) nutzen lässt, um neue Sichtweisen auf ein Problem zu entwickeln und dadurch positive Veränderungen in Gang zu setzen. In diesem Blogeintrag möchte ich das Vorgehen noch einmal ganz konkret am Beispiel Angst veranschaulichen, um Ihnen damit neue Wege im Umgang mit dieser aufzuzeigen.
Dazu möchte ich Sie zunächst zu einem kurzen Brainstorming einladen. Welche Assoziationen verbinden Sie mit dem Wort Angst? Welche weiteren Begriffe oder Vorstellungsbilder kommen Ihnen in den Sinn? Möglicherweise denken Sie sofort an Begrifflichkeiten wie z.B. „Gefahr“, „Bedrohung“, „Hilflosigkeit, „Blamage“ oder „Flucht“. All diese Begriffe haben gemeinsam, dass sie Angst in einen negativen, problematischen Kontext (bzw. Rahmen) stellen und damit eine Vermeidungshaltung in uns hervorrufen. Im Zusammenhang mit einer realen Bedrohung für Leib und Leben ist diese Impuls zur Vermeidung der Gefahrenquelle natürlich absolut sinnvoll und gerechtfertigt. In Situationen jedoch, in denen keine reale Gefahr besteht (die in unserem Gehirn also „falschen Alarm“ auslösen) ist die Angst eher hinderlich. Und genau auf solche Situationen, in denen die Angst unangemessen ist oder übertrieben stark auftritt, lässt sich Reframing bestens anwenden.
Der Angst einen neuen Rahmen geben:
Von Ängsten betroffene Menschen fokussieren sich oftmals stark darauf, warum ihre Angst problematisch ist und bestätigen sich dadurch in der falschen Annahme, diese um jeden Preis vermeiden zu müssen – was jedoch auf Dauer starke Einschränkungen mit sich bringt (s. dazu auch meinen Blogartikel „Vermeidung – der ´sichere´ Weg (…zu anhaltender Angst)“).
Um also einen neuen, hilfreicheren Rahmen in der Betrachtung ihrer Angst zu erzeugen, stelle ich meinen Klient/innen oftmals Fragen wie „Was meinen Sie, wozu Angst gut oder sinnvoll ist?“ oder „Erinnern Sie sich an Situationen, in denen die Angst Ihnen geholfen hat?“. In der Regel werden dann Punkte genannt, die Angst in einem etwas positiveren Licht erscheinen lassen, wie z.B. „Angst schützt mich vor Gefahr“ oder „Angst hat mich motiviert, für meine Prüfungen zu lernen“. Im Ansatz ist das bereits ein hilfreiches Reframing.
Doch ich möchte noch einen Schritt weiter gehen in der „Neurahmung“ von Angst. Auch wenn die folgenden Fragen zunächst inneren Widerstand hervorrufen: Was wäre, wenn Sie Ihre Angst einmal nicht als Ihren „Feind“, sondern als „Freund“ betrachten würden? Was würde sie Ihnen dann raten? Worauf würde sie Sie aufmerksam machen? Und warum würde es sich lohnen, sich mit ihr zu beschäftigen?
Ein solches Reframing offenbart nämlich den Blick auf die positiven Seiten von Angst und hilft, diese zum eigenen Vorteil zu nutzen. Die folgenden Beispiele sollen Ihnen hierfür als Inspiration dienen:
Angst als Sprungbrett zur persönlichen Weiterentwicklung:
Je häufiger Sie sich Situationen aussetzen, die Sie aus Angst vermeiden oder aufschieben, umso selbstsicherer werden Sie im Umgang mit diesen. Jeder Ausflug ins Ungewisse wird Ihren Mut und Ihr Selbstvertrauen steigern und die Überzeugung festigen, die Unwägbarkeiten des Lebens erfolgreich bewältigen zu können. Folgendes Zitat der Menschenrechtlerin Eleanor Roosevelt bringt dies auf den Punkt:
“You gain strength, courage and confidence by every experience in which you really stop, to look fear in the face. You are able to say to yourself, ‘I have lived through this horror. I can take the next thing that comes along.’ You must do the thing you think you cannot do.”
Angst als Wegweiser:
Eine zugewandte Haltung der eigenen Angst gegenüber liefert oftmals wichtige Hinweise auf die eigenen Werte, also auf Dinge, die persönlich wichtig sind und die dem eigenen Leben Bedeutung verleihen. Beispielweise kann die Angst, mit einem Flugzeug zu fliegen auf die Sehnsucht verweisen, einen schönen Urlaub in einem weit entfernten Land zu verbringen. Die Angst, auf andere Menschen zuzugehen weist oftmals auf das dahinterliegende Bedürfnis hin, tiefgründige Beziehungen im Leben einzugehen. Die Angst vor Menschenansammlungen könnte den Wunsch offenbaren, endlich einmal wieder unbeschwert Konzerte oder Aufführungen zu besuchen. Die Angst, in einer Prüfung oder einem Vorstellungsgespräch zu versagen, zeigt auf, wie bedeutsam der Abschluss oder die Position für einen selbst sind. Welche Beispiele aus Ihrem eigenen Leben fallen Ihnen an dieser Stelle ein? Und was will Ihnen Ihre Angst eigentlich sagen? Es lohnt sich, einmal genauer hinzuhören!
Angst ist jedoch nicht nur Hinweis auf die eigenen Werte, sondern zeigt Ihnen paradoxerweise auch genau den Weg, den Sie gehen müssen, um die Angst zu überwinden. Sie haben Angst davor, eine wichtige Entscheidung in ihrem Leben zu treffen? Dann gibt es nur einen Weg, diese zu überwinden: Tun Sie es! Sie möchten Ihre/n Vorgesetzte/n schon lange um eine Gehaltserhöhung bitten, trauen sich aber nicht? Dann weist Sie ihre Angst an dieser Stelle genau auf das hin, was für Sie von Bedeutung ist.
Den „echten“ Informationswert der eigenen Ängste zu erkennen und entschlossen danach zu handeln kann somit einen großen Beitrag zu einem erfüllenden und zufriedenen Leben leisten. Jenseits der eigenen Ängste liegen nämlich oftmals die schönsten und aufregendsten Momente des eigenen Lebens! Apropos aufregend - kommen wir zum nächsten Beispiel für das Reframing von Angst.
Angst = Vorfreude:
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass der Zustand freudiger Erregung oder Spannung (engl. excitement) mit genau denselben körperlichen Veränderungen einhergeht, wie Angst oder Nervosität? Vergegenwärtigen Sie sich beispielsweise einmal die Situation eines ersten Dates mit einem/r potenziellen Partner/in. Die meisten Menschen empfinden davor Symptome wie Herzklopfen, feuchte Hände, ein Kribbeln im Bauch und eine gewisse innere Anspannung – also typische Empfindungen im Zusammenhang mit Angst. Im Vergleich zur Angst können diese „Symptome“ vorm ersten Rendez-vous jedoch als ganz angenehm empfunden werden – nämlich als Vorfreude auf das Kennenlernen eines interessanten neuen Menschen. Die körperlichen Erscheinungen werden in diesem Fall also vom Gehirn nicht als Zeichen von Gefahr interpretiert, sondern als Anzeichen freudiger Erwartung. Aus der typischerweise mit Angst einhergehenden Vermeidungshaltung entsteht somit ein Impuls zur Annäherung an etwas persönlich Bedeutsames.
Möglicherweise fahren Sie gerne Achterbahnen in Vergnügungsparks, springen im Sommer vom Zehnmeterturm ins Becken oder sehen sich nach Feierabend einen Thriller oder gar einen Horrorfilm im Fernsehen an. Die damit einhergehenden Veränderungen im Körper unterscheiden sich keineswegs von klassischen Angstsymptomen – und dennoch verspüren wir bei derartigen Aktivitäten ein freudiges Gefühl von Nervenkitzel und Lebendigkeit. Der Unterschied besteht einzig und allein in der subjektiven Bewertung bzw. dem „Rahmen“ durch den wir diese Dinge betrachten.
Versuchen Sie also einmal, sobald Sie das nächste Mal unangemessene Angst verspüren, diese als Form positiver Erregung umzudeuten und das Gefühl vibrierender Energie und Lebendigkeit bewusst zu spüren, welches sich in diesen Augenblicken in Ihrem Körper freisetzt. Tun Sie dies in dem Bewusstsein, dass die Angst Ihnen körperlich nichts anhaben kann und keinerlei Gefahr von ihr ausgeht.
Eine humorvolle Demonstration dieses Reframings finden Sie auch in folgendem Youtube-Video („Mr. Ramesh“): https://www.youtube.com/watch?v=ZYgvZJY8vow
Fazit:
Zusammenfassend hier noch einmal die wichtigsten Schritte beim Reframing von Angst:
Betrachten Sie Angst als Informationsquelle und Wegweiser zu Ihren persönlichen Werten. Sobald Angst auftritt, fragen Sie sich: „Warum ist diese Situation von Bedeutung für mich?“.
Nutzen Sie Angst als Motivator, um Dinge zu tun, die Ihnen persönlich wichtig sind und die ihr Leben bereichern. Denken Sie daran: Diejenigen Situationen, die am meisten Angst und Widerstand auslösen, beinhalten oft das größte Potenzial zur persönlichen Weiterentwicklung.
Schreiten Sie Ihrer Angst mutig entgegen, anstatt von ihr wegzulaufen (In Eleanor Roosevelts Worten: “Do one thing every day that scares you.”). Machen Sie also aus einem Vermeidungs- einen Annäherungsrahmen.
Nehmen Sie Angst als Anlass, über sich selbst hinauszuwachsen und schrittweise mehr Selbstvertrauen im Umgang mit schwierigen Situationen zu gewinnen.
Nutzen Sie das Reframing auch dann, wenn es mal nicht so gut läuft. Anstatt sich zu sagen: „Ich habe versagt und werde meine Angst wohl nie los“, motivieren Sie sich durch Sätze wie: „Wer hätte schon den Mut, sich seinen Ängsten zu stellen, so wie ich?“
Machen Sie Angst zu Ihrem Verbündeten, anstatt zu Ihrem Gegner!
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Umsetzung des Reframing! Lassen Sie mich gerne an Ihren Erfahrungen im Zuge dessen teilhaben. Falls Sie sich darüber hinaus weitere Unterstützung bei der Bewältigung von Ängsten im Rahmen meines Beratungsangebotes wünschen, kontaktieren Sie mich ebenfalls gerne. Ich freue mich über Ihre Nachricht!
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