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Leistungsfähig sein trotz Angst – oder gerade deswegen?

„Angst verleiht Flügel”

(Gustave Flaubert)



Gibt es ein optimales Ausmaß an Angst? Die meisten von Ängsten betroffenen Personen würden wohl ohne zu zögern antworten, dass es optimal wäre, „gar keine Angst“ zu haben. Denn in der Regel bleiben vor allem solche Situationen im Gedächtnis haften, in denen Angst negative Konsequenzen hatte. Ein Beispiel ist der klassische „Blackout“ in einer Prüfung, in welcher all das Gelernte vor lauter Aufregung auf einmal schlagartig in Vergessenheit zu geraten scheint.


Ohne Zweifel - starke Angst kann durchaus die Handlungsfähigkeit beeinträchtigen, was sich auch in vielen Redewendungen des Alltags widerspiegelt, z.B. wenn es einem „vor Angst die Sprache verschlägt“ oder man „vor Angst erstarrt-“ oder „wie versteinert“ ist. Doch ist Angst tatsächlich nur ein lästiges Hindernis? Wären wir ohne Angst wirklich handlungs- und leistungsfähiger?


Versuchen Sie zur Beantwortung dieser Fragen einmal, sich an Situationen zu erinnern, in denen ein gewisses Ausmaß an Angst oder Anspannung Ihnen geholfen hat. Gab es Ereignisse in Ihrem Leben – z.B. ein Vorstellungsgespräch, eine Prüfungssituation oder ein sportlicher Wettkampf – in welchen Sie trotz Lampenfieber oder Nervosität eine gute Leistung erbracht haben? Gab es auf der anderen Seite vielleicht auch solche Situationen, die Sie etwas zu locker „auf die leichte Schulter genommen“ haben, sodass Ihre wahren Fähigkeiten nicht zur Geltung kamen?


Das Yerkes-und-Dodson-Gesetz:

Erstmals untersuchten die beiden Forscher Robert M. Yerkes and John D. Dodson (1) vor über 100 Jahren die Auswirkungen unterschiedlicher Ausmaße von körperlicher und mentaler Anspannung auf die Leistungsfähigkeit und stießen dabei auf einen klaren Zusammenhang: Das nach ihnen benannte Yerkes-Dodson-Gesetz besagt, dass die Leistungsfähigkeit mit ansteigender körperlicher und mentaler Erregung bis zu einem gewissen Punkt steigt. Darüber hinaus führt ein weiterer Anstieg von Angst jedoch zu einer zunehmenden Verschlechterung der Leistung. Yerkes und Dodson zufolge erbringen wir also nicht trotz Angst gute Leistung, sondern gerade deswegen – allerdings nur bis zu einem gewissen Ausmaß. Folgende Abbildung veranschaulicht diesen Zusammenhang:


Umgekehrt U-förmiger Zusammenhang zwischen Angst und Leistung
Abbildung: Yerkes-Dodson-Gesetz

Die Beobachtung der beiden Forscher lässt sich folgendermaßen erklären: Ein optimales Ausmaß an Anspannung und Angst schärft unsere Sinne, steigert Aufmerksamkeit und Gedächtnis und erleichtert dadurch problemlösendes Denken und Handeln. Ganz zu schweigen von der grundsätzlichen Motivationssteigerung, die Angst hervorrufen kann (wie sicherlich jeder bestätigen kann, der mit dem Näherrücken einer Abgabefrist auf einmal wie von Zauberhand unbändigen Arbeitseifer entwickelt...).


Zu wenig Anspannung führt demgegenüber zu Trägheit und mangelnder Aufmerksamkeit und ist damit genauso hinderlich fürs klare Denken und Handeln wie ein Übermaß an Angst. Letzteres äußert sich typischerweise in Aufmerksamkeits- und Gedächtnisproblemen („Tunnelblick“, „Blackout“) und beeinträchtigt dadurch die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit.


Natürlich ist der beschriebene Zusammenhang als Vereinfachung anzusehen, da das Ausmaß der Angst von weiteren Faktoren abhängt, z.B. von der Überzeugung, die eigene Leistung durch Vorbereitung oder Anstrengung positiv beeinflussen zu können (die so genannte Selbstwirksamkeitserwartung). Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung mindert in der Regel die Angst aufgrund der damit verbundenen Zuversicht, den Anforderungen gewachsen zu sein.


Zu hohe Ansprüche an die eigene Leistung (sei es durch die eigene perfektionistische Haltung oder aber durch die übermäßigen Erwartungen anderer Personen) fördern demgegenüber Versagensängste, die selbstverständlich alles andere als leistungssteigernd sind. Ähnliches gilt für den ständigen Vergleich mit anderen Personen, die womöglich „besser“ abschneiden werden, als man selbst – eine positive Motivation lässt sich dadurch nur selten gewinnen.


Fazit:

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Zustand der Angstfreiheit (den viele Betroffene als erstrebenswertes Ziel ansehen) oftmals weder sinnvoll noch realistisch ist. Angst kann streckenweise nämlich ein durchaus hilfreicher Begleiter zur Motivations- und Leistungssteigerung sein und sollte daher nicht pauschal als negativ betrachtet werden. Stattdessen gilt es, den „goldenen Mittelweg“ zu finden, also ein der jeweiligen Tätigkeit angemessenes Ausmaß an körperlich-geistiger Anspannung zu erreichen.


Im Rahmen einer psychologischen Online-Beratung unterstütze ich Sie gerne bei diesem Prozess, indem ich gemeinsam mit Ihnen die Hindernisse und Ängste ausfindig mache, die Sie in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und Sie bei deren Überwindung unterstütze. Ich freue mich über Ihre Kontaktaufnahme!


Quelle:

(1) Yerkes, R. M., & Dodson, J. D. (1908). The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation. Punishment: Issues and experiments, 27-41.

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